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Der Geruch der fruchtbaren Erde erfüllte seinen Mund —
Charles ("Chase") Gioberti
Eine Charakteristik von THOMAS J. PUCHER
Er passte so gar nicht zu den Menschen im Tuscany Valley. Er war zurückhaltend und ehrlich, extrem sauber: Chase Gioberti. Ein Mann mit Grundsätzen, ein Mann mit Moral. Er hielt sich immer an das Gesetz, war sich stets seiner Bürgerpflicht bewusst. Und er liebte Wein genauso, wie jeder Gioberti es tat. Damit blieb er seiner Familie treu.
Er, der Sohn von Jason Gioberti und Jacqueline Perrault. Geboren auf Falcon Crest, dem Land der Giobertis. Als Kleinkind von seiner Mutter vernachlässigt; er lebte mehr bei ihrer Schwester als bei ihr, da sie ihn auf ihre ständigen Reisen nie mitnahm. Bei seiner Tante lernte er seinen Cousin Michael Ranson kennen, mit dem er sich sehr gut verstand.
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Als er etwas älter war, lebte er bei seinem Vater. Dann ließen sich seine Eltern scheiden. Seine Mutter nahm ihn mit nach Paris. Er war zwar damals erst zwölf, aber er vergaß niemals den Augenblick, in dem er Falcon Crest verlassen musste. Seine Mutter konnte ihm so oft sie wollte sagen, welche Stätte des Unheils dieses Weingut war, doch in seinem Herzen hing er immer daran. Denn es war das Land seiner Väter.
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Er und seine Mutter verstanden sich nie besonders gut. Chase hatte eine andere Vorstellung vom Leben. Er wollte eine Familie um sich haben. Seine Mutter und ein Stiefvater waren ihm nicht genug. Er verließ Jacqueline, ging nach New York.
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Nach seinem Abschluss auf der Air Force Academy wurde er Captain bei der Air Force. Die Fliegerei gab ihm das Gefühl von Freiheit; er genoss es.
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Und schon bald vermählte er sich. In Maggie Hartford hatte er eine Frau fürs Leben gefunden. Mit ihr war er glücklich. Maggie gab ihm die Liebe, die ihm jahrelang fehlte.
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Er hatte mit ihr zwei Kinder: Cole und Vickie. Chase hing sehr an ihnen. Er war ein zärtlicher, liebevoller Ehemann und Vater.
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Doch dann musste er nach Vietnam. Er flog einen Sanitätshubschrauber. Als Soldat hätte er nicht dienen können, denn Chase konnte kein Blut sehen. Er brachte es nicht fertig, Menschen sterben zu sehen. Und doch musste er es tun. Er musste zusehen, wie seine Landsleute jämmerlich umkamen, weil die Französin Nicole Sauguet Medikamente aus den Lazaretten gestohlen hatte. Chase begriff nie, warum Menschen so etwas tun konnten, so gewissenlos sein konnten. Vietnam wurde eine bittere Erfahrung für ihn. Er sah ein, dass für ihn nichts mehr Bedeutung hatte, als mit seiner Familie in Frieden zu leben. In dem Söldner John Remick hatte er einen wahren Freund gefunden. Die beiden waren unzertrennlich. Sie schworen sich, zusammen durch Dick und Dünn zu gehen, und Chase bat John, sich um seine Familie und seinen Nachlass zu kümmern, wenn er ihn überleben würde. Chase blieb mit ihm auch nach Vietnam noch in Kontakt. Seiner Familie erzählte Chase jedoch weder etwas von Nicole noch von John. Vietnam war ein Teil seines Lebens, den er immer zu vergessen suchte.
Als er nach endlosen fünf Jahren wieder zu Hause war, begann er seine Arbeit bei der Fluggesellschaft Allied International Airlines / Trans Atlantic Airlines. Er träumte davon, einmal seine eigene Charterfirma zu gründen. Doch Chase war ein Realist. Er erkannte, dass es nicht gehen würde.
Tod. Der Tod seines Vaters war für Chase ein Schock. Ein Anruf von seiner Tante Angela aus Kalifornien brachte die schlimme Nachricht: Jason Gioberti saß betrunken am Steuer und fuhr einen Felsvorsprung hinab. Chase machte sich furchtbare Vorwürfe, denn er hatte seinen Vater seit zwanzig Jahren nicht mehr besucht. Zunächst waren sie noch in Briefkontakt, doch als Chase offenbart hatte, er wolle Pilot werden, bekam er nach seinem letzten Besuch nie wieder eine Antwort von seinem Vater. Chase wusste, dass sein Vater immer davon geträumt hatte, er würde eines Tages nach Falcon Crest zurückkehren und Winzer werden. Doch es kam nicht so, und Jason wurde zum Alkoholiker. Chase musste mit dieser Schuld leben. Er reiste mit Maggie zur Beerdigung seines Vaters ins Tuscany Valley. Er erinnerte sich daran, wie er als Kind oft die Schule geschwänzt hatte, um stundenlang den Falken zuzusehen. Jetzt gab es kaum noch welche in dieser Gegend. Aber es gab noch Falcon Crest. Es war ein brennend heißer Tag, als Chase nach zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder sein Geburtshaus betrat, den Stammsitz der Giobertis. Sein Ur-Großvater hatte das Haus gebaut, Stein für Stein; es hatte Unwettern, Stürmen und Erdbeben Stand gehalten. Chase kostete die Trauben. Sie waren noch genauso süß wie damals, als er Falcon Crest verlassen hatte. Er hatte den Geruch der fruchtbaren Erde des Tuscany Valley in seinem Mund. Da wusste er, dass er zurückkommen musste — zurück nach Falcon Crest. Zehn Generationen Giobertis hatten sich schon vor ihm um den Weinanbau bemüht; in Italien und in Tuscany. Er konnte sie nicht im Stich lassen. Und vor allem war er es seinem Vater schuldig. Außerdem wusste er, dass es seiner Familie gut tun würde, denn sie hatten sich in New York auseinandergelebt. Es verging nicht besonders viel Zeit, da waren Chase, Maggie, Cole und Vickie schon in das alte verfallene Gioberti-Haus eingezogen. Chase renovierte es mit viel Liebe. Das Haus war sein neuer Traum geworden.
Er nahm leidenschaftlich sein neues Leben als Winzer und Gemeindemitglied an; als Bezirksrat engagierte er sich auch politisch für die Belange der Bevölkerung im Tal. Er hatte sich das Leben dort so idyllisch vorgestellt, doch es gab schon bald Probleme.
Lange Zeit dachte er, es wären unglückliche Zufälle gewesen, doch eines Tages erkannte er, dass seine Tante Angela dahintersteckte, die ihm seinen Teil von Falcon Crest abnehmen wollte. Auf ihr Betreiben erhielt er keine Kredite, hatte Schwierigkeiten mit den Traubenpflückern. Doch er bekämpfte Angela. Er bekämpfte sie Tag und Nacht.
Zu dieser Zeit lieh er sich 30 Mio. $ von Nicole Sauguet, die mittlerweile in Paris wohnte. Er mochte sie zwar nicht, aber er brauchte Geld. So sehr es ihm auch widerstrebte, eine solche Frau um Geld zu bitten — aber er musste es tun. Vielleicht war es der erste richtige Tabubruch in seinem Leben. Aber der Zweck heiligte die Mittel... Jedenfalls sah Chase das so, und was er so sah, war auch immer richtig — für ihn jedenfalls.
Angela gab nie Ruhe. Chase war immer damit beschäftigt, das Unheil, das sie über ihn bringen wollte, abzuwehren. Mit der Zeit erkannte er, warum sie ihn aus dem Tal vertreiben wollte: Er sollte nicht erfahren, dass sein Vater nicht wirklich durch einen Unfall gestorben war. Chase fand aber die Wahrheit heraus: Angelas Tochter Emma hatte ihn versehentlich von der Empore im Weinlager gestoßen. Aufgrund dieses unnatürlichen Todes von Jason wurde eine Klausel im Testament von dessen Vater Jasper wirksam. Angela musste den Verlust von Falcon Crest befürchten. Von jetzt an wechselten ständig die Eigentumsverhältnisse an Falcon Crest. Chase wollte nur das, was ihm rechtmäßig zustand, aber Angie konnte das nie akzeptieren.
Auf der anderen Seite aber konnte sich Chase nie in die Position seiner Tante hineinversetzen: Sie war es, die ihr ganzes Leben dem Weingut der Familie gewidmet, jeden Funken ihres Privatlebens der Unversehrtheit und Einheit von Falcon Crest untergeordnet und sich dafür aufgeopfert hatte. Doch diese Bewegründe verstand Chase offenbar nie, obwohl er mit Sicherheit — wäre er an Angelas Stelle gewesen — genau dieselbe Motivation gehabt hätte, einem Außenseiter, der nach Jahrzehnten plötzlich einen Anteil an Falcon Crest beansprucht, die Position streitig zu machen. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass gerade er über eine gehörige Portion Selbstgerechtigkeit und Arroganz verfügte. Wenn das Unfehlbarkeitsdogma außer dem Papst jemand anders für sich beanspruchen durfte, dann sollte es nach Chases Vorstellung jedenfalls für ihn selbst gelten.
Chase war ein Mensch, der immer allem auf den Grund ging. Doch dabei fiel er oft genug auf die Nase, oder besser gesagt ins Krankenbett. Er entlarvte seine Cousine Julia Cumson als Mörderin. Die Früchte, die er erntete, waren Kugeln in seinem Rücken. Julia hatte ihn niedergeschossen. Er wäre nicht nur beinahe gestorben, sondern war auch zeitweise gelähmt. Chase, der sich in Selbstmitleid verzehrte, schloss jeden aus seinem Leben aus, besonders die, die ihn am meisten liebten. Seine Frau Maggie wusste jedoch, dass sein Stolz seiner Genesung im Wege stand und überzeugte Chase mit ihrer Ausdauer und ihrem Verständnis, nicht aufzugeben. Er kämpfte wochenlang ums Überleben und schaffte es dank ihrer Unterstützung und der Behandlung seines Cousins Dr. Michael Ranson.
Ebenso überlebte er auch ein weiteres Attentat. Eine Detektivin hatte auf ihn geschossen, weil er sich wieder einmal in Dinge eingemischt hatte, die er besser hätte ruhen lassen.
Er verstand auch nicht, warum Jacqueline ihm all die Jahre verschwiegen hatte, dass er einen Halbbruder hatte: Richard Channing. Chase und Richard hatten so gut wie nichts gemeinsam; Chase begriff nie, wie man so hinterhältig und intrigant wie Richard sein konnte — aber auch hier hegte und pflegte Chase seine Doppelmoral. Denn er selbst hatte wenig Skrupel, auch gegen Richard zu intrigieren — immer natürlich mit einer moralischen Rechtfertigung, da Chase sich selbst als den Inbegriff des Saubermanns sah. Aber die Wahrheit über seine Mutter war wirklich schlimm für Chase. Nach ihrem Tode erfuhr er erst, welch eine reiche Frau sie gewesen war. Aber als bekannt wurde, dass sie ihr Vermögen dadurch erwirtschaftet hatte, dass sie eine Kollaborateurin der Nazis im Zweiten Weltkrieg war, hatte Chase ernsthafte Probleme, denn zwischen seinen Moralvorstellungen und denen seiner Mutter lagen Welten. Er fand, dass Jacqueline irgendwie mehr mit der Bosheit und Falschheit Richards gemein hatte als mit seinem eigenen Charakter. Doch wie gemein seine Mutter wirklich war, erfuhr Chase nie: Richard war gar nicht Jacquelines Sohn; seine Mutter hatte es nur aus Rachsucht gegen dessen leibliche Mutter Angela behauptet.
Eines Tages sah sich Chase plötzlich damit konfrontiert, Maggie zu verlieren. Die einzige Hoffnung, Maggies Gehirntumor zu heilen, war eine von Michael angewandte mikrochirurgische Technik, die sie retten oder ebenso leicht ihr Leben kosten könnte. Jedes Risiko war für Chase besser als die Gewissheit, dass Maggie sterben würde. Seine Liebe überzeugte sie. Als er während der aufreibenden Stunden der Operation im Wartezimmer saß, musste er daran glauben, dass seine Liebe stark genug war, Maggie am Leben zu erhalten. Es geschah so, und die Giobertis erhielten auf wunderbare Weise eine zweite Chance.
Nicht lange danach schlug die Tragödie erneut zu. Die Fliegerei war nach wie vor Chases größtes Hobby. Es raubte ihm fast den Verstand, als eine Maschine, die er flog, abstürzte und dadurch vier Menschen, darunter auch sein Cousin Michael und seine Schwiegertochter Linda, den Tod fanden. Er machte sich selbst schon genügend Vorwürfe, aber als ihm die Fluglizenz entzogen wurde, war es für ihn fast wie ein Todesurteil. Doch er fand heraus, dass an der Unglücksmaschine Sabotage betrieben wurde. Er hatte keine Schuld. Jetzt hatte er seinen Pilotenschein wieder und konnte wieder ruhig schlafen.
Ehe sich Chase versah, fand er sich infolge der ständigen Machtkämpfe in einer Partnerschaft mit Angela und Richard bei Falcon Crest wieder. Ausgerechnet mit den zwei Personen, denen er am wenigsten traute, machte er Geschäfte. Das konnte einfach nicht gut gehen. Er verlor seinen Anteil an Falcon Crest. Nur noch das Gioberti-Haus und der dazugehörige Weingarten blieben ihm neben den Weinbergen, die er von Simon Whitaker gekauft hatte.
In diesem Augenblick tauchte Connie Gianinni auf. Sie schenkte Chase die Hälfte ihrer Weinkellerei. Außerdem war sie attraktiv. Chase war auch nur ein Mann. In seinem Zorn über den Verlust seines Anteils an Falcon Crest fand der Heißblütige in Connies Armen eine kühle Erfrischung. Er küsste sie. Maggie hatte dafür wenig Verständnis. Chases Traumehe hatte einen Knacks. Aber die Zeit heilte auch hier die Wunden, Connie war schnell vergessen, mit Maggie war er zunächst wieder glücklich. Doch dieses Glück hielt nicht mehr lange.
Als Maggie nach einer Vergewaltigung schwanger wurde, verlangte Chase einen Vaterschaftstest. Weil Maggie diesen verweigerte, ließ er sie in ihrer Verzweiflung alleine. Seine selbstgerechte Art schlug nun voll durch. Ihre Position, eine Abtreibung ungeachtet der Vaterschaft abzulehnen, erschien ihm abwegig; er konnte und wollte sie nicht nachvollziehen. Nur seine Meinung zählte. Ihr Gewissenskonflikt, ihre Verzweiflung waren ihm trotz mehr als 25-jähriger Ehe fremd. Die Gioberti-Familie hatte sich ohnehin längst auseinandergelebt: Cole suchte nach mehr Selbstverwirklichung und ging nach Australien, Vickie benutzte das Haus ihrer Eltern als Hotel zwischen ihren ständigen Ein- und Auszügen. Chase bemühte sich stärker um die Expansion seiner Weinkellerei, die er von Connie gekauft hatte, und ging immer mehr seinen kommunalpolitischen Ambitionen nach — er wurde sogar Bezirksratsvorsitzender.
Mit Gabrielle Short erlebte Chase einen zweiten Frühling. Sein "anderes Leben" mit Maggie war vorbei: Er reichte die Scheidung ein. 28 Jahre hatte er mit ihr verbracht. Aber für ihn begann ein neuer Lebensabschnitt. Doch noch einmal holte ihn seine Vergangenheit ein: Maggie hatte nach der Geburt ihres Babys Kevin durch einen Vaterschaftstest erfahren, dass das Kind aus der Vergewaltigung stammen musste. Sie gab Kevin zur Adoption frei. Erst später kam heraus, dass Kevin doch Chases Sohn war und Melissa Agretti, Chases und Maggies ehemalige Schwiegertochter, durch geschickte Manipulationen das Baby heimlich adoptiert hatte. Chase und Maggie suchten fieberhaft nach ihrem Kind.
Als Melissa mit dem Baby und einem Freund im Auto ins Hafenbecken von San Francisco raste, sprang Chase nach. Irgendwie musste er es geschafft haben, unter Wasser die Autotür zu öffnen. Er holte sein Baby aus dem Wasser und gab es Maggie, die am Rande der Bucht stand. "Die anderen sind noch im Wagen." Das waren Chases letzte Worte, ehe er noch einmal tauchte. Dann wurde er nie wieder gesehen.
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